face

zurueck


glossen
Glosse Nr.26 / 24. Juni 2006

Schwache Vorbilder

Einem Kleinkind elementare soziale Werte zu vermitteln ist heikel. Ich will nicht in den Chor der Jammerer einstimmen, die alle üblen Einflüsse Bildschirm und Leinwand zuschreiben. Nicht jedes kindliche Fehlverhalten rührt von Benny Ballermann und seinen Gewaltorgien auf der Mattscheibe. Zugleich latscht nämlich Bebbi Bünzli als schwaches Vorbild durch den Alltag.

An jedem Fussgängerstreifen wiederhole ich das Dogma dass man nur und ausschliesslich bei Grün über die Strasse gehen darf. So auch an der Ecke wo die Schützenmattstrasse auf die Eulerstrasse trifft. Und während Rot noch Oberhand hat, watschelt ein sehr ergrauter Mann mit Gehstock und Einkaufstasche ohne den Blick zu heben über die Strasse. Dies kann mein geschulter Sohn nicht gutheissen.

Junior schaut mich an, deutet auf ihn und babbelt unvermittelt "Der Mann da darf gar nicht gehen weil noch rot ist." Unmittelbar darauf faucht mich Grosspapi Rotgänger giftig an und meint dass man zu seiner Zeit solchen "Saugoofen" eine Ohrfeige gegeben hätte wenn sie so über Erwachsene sprechen. Aber die Eltern von heute wüssten ja nichts mehr von richtiger Erziehung.

Es ist schwierig dem eigenen Kind den Unterschied zwischen Recht und Unrecht aufzuführen, wenn sich das Bewusstsein darum bei bestimmten Schichten der Bevölkerung verflüchtigt hat. Ich entsinne mich der Auspuff-Lobby und deren Vertreter in der Classe politique. Wenn immer die Polizei darauf hinwirkt den Tempolimiten mit Radar und Bussenzettel Geltung zu verschaffen, erhebt sich grosses Wehklagen.

Es gibt Politiker die in dreister Schuldumkehr von Abzockerei und modernem Raubrittertum sprechen, wenn sich die Ordnungsmacht jene zur Brust nimmt, die Tempolimiten im Besonderen und Verkehrsregeln im Allgemeinen für unverbindliche Ratschläge halten. Desperados des Asphalts werden zu Osterlämmern und diese sind ja bekanntlich rein und ohne Schuld, also ist auch Schuldbewusstsein überflüssiger Luxus.

Rotgängers Vorlage war zu verlockend und durfte nicht vergeben werden. Das schrie nach einem direkten Schuss aufs Tor ohne jeden Schnörkel: "Und zu meiner Zeit hätte man mir den Allerwertesten (Kraftausdruck) versohlt, wäre ich bei Rot über die Ampel gegangen. Das dürfte aber bei ihnen wenig bringen, denn Hans lernt ja sowieso nicht mehr was Hänschen verpasst hat." Voll ins Netz!

Grosspapi Rotgänger zog laut zeternd Richtung Bushaltestelle vom Feld. Sohnemann fragte mich ob das ein böser Mann sei, was ich verneinte. Böse und dumm sind nicht dasselbe. Dumme hat man allerdings täglich zuviele auf den Strassen, und die pfuschen einem mit ihrem dämlichen Auftreten gehörig in die Erziehung - drehe es sich um Strassenverkehr oder um allgemeines Verhalten.

Alleine beim Gang auf dem Trottoir kann man täglich prächtige Exemplare an traurigen Vorbildern begegnen. Seien es schneidige Velokuriere, strechthosige Matronen mit Einkaufstaschen am Lenker oder bocksbärtige Studiosi. Im Winter auch ohne Licht an ihren Fahrrädern, nutzen sie immer wieder den schmalen Asphaltsteifen der eigentlich und exklusiv den Fussgänger vorbehalten ist.

Das Arsenal der Ausreden ist unerschöpflich. Die Strasse ist hier zu gefährlich für Velofahrer, die Verkehrsführung der Obrigkeit sei kriminell, ein Dynamolicht macht das Pedalen so anstrengend, ein Batterienlicht wird ständig geklaut, man fahre ja nur ein paar Meter auf dem Trottoir und so weiter. Greift die Polizei tatsächlich mal zu, ist das Gejammer gross und man fühlt sich schikaniert.

Trottoirfahrer, Müllsünder, Tempojunkies und viele mehr aus dieser Ecke haben eines gemeinsam - einen Köcher voller guter Erklärungen für ihr asoziales Verhalten. Bloss taugen die nichts um einem Kleinkind klare Regeln zu vermitteln. So klein die Gehirne noch sein mögen; sie denken ohne Fussnoten, wie wir Erwachsene sie benutzen um uns die Welt zurechtzubiegen.

engel

zurück